Fragen an Lukas Jost zur Mutter-Kalb-Haltung

Was hat dich dazu bewogen, auf Mutter-Kalb-Haltung umzustellen? Gab es bestimmte Erfahrungen und Ueberzeugungen, die diese Eintscheidung beeinflusst haben? 

In habe vor der Umstellung viel über die Mutter-Kalb-Haltung gelesen und mich intensiv damit beschäftigt. Und ehrlich gesagt: Für mich war es nie richtig, das Kalb direkt nach der Geburt von der Mutter zu trennen. Wenn man einmal sieht, wie stark die Bindung zwischen Kuh und Kalb ist, dann versteht man: Das ist nicht einfach ein Tier, das da geboren wird – das ist ihr Kalb.

Deshalb habe ich mich bewusst dafür entschieden, diesen anderen Weg zu gehen. Bei uns bleiben die Kälber ungefähr fünf bis sechs Monate bei ihren Müttern. Ja, das bedeutet zusätzliche Arbeit. Und ja, es erfordert mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Die Entwöhnung nach den zirka fünf bis sechs Monaten dauert bei mir etwa zwei Wochen, in denen ich ganz genau hinschaue, wie es beiden Seiten geht. Aber weisst du was? Diese Zeit nehme ich mir gerne. Denn ich sehe, dass es funktioniert – ohne lautes Schreien, ohne Stress. Einfach, weil wir ihnen die Zeit geben, die sie brauchen.

Viele in der Branche sagen, es sei einfacher, das Kalb direkt nach der Geburt zu separieren. Ja, sie haben auch recht, es spart Aufwand und ist für den Betrieb einfacher. Es erspart das viele Geschrei im Stall, wenn man nicht die nötige Zeit für die Trennung investiert, bei mir funktioniert das meist ohne Geschrei. Aber für mich fühlt sich das nicht richtig an. Es widerspricht dem, was ich unter einem natürlichen und respektvollen Umgang mit unseren Tieren verstehe. Die Natur hat es anders vorgesehen, und ich möchte, dass mein Betrieb das widerspiegelt.

Ich investiere nicht nur Arbeit, sondern auch Herzblut in diese Art der Tierhaltung. Und das macht für mich den Unterschied. Es fühlt sich gut an, richtig und stimmig. Genau so will ich arbeiten.

Welche Unterschiede beobachtest du im Verhalten der Kühe und Kälber im Vergleich zur konventionellen Haltung? 

Es war der gewohnte Ablauf: Das Kalb kam auf die Welt und wurde kurz danach von der Mutter getrennt. Das war für uns normal, das macht man ebenso. Doch irgendetwas in mir hat sich immer gefragt: Muss das wirklich sein?

Als wir umgestellt haben und den Milchkühen erlaubt haben, ihre Kälber zu behalten, passierte etwas, das mich tief berührt hat. Diese Kühe, denen jahrelang ihre Kälber direkt nach der Geburt weggenommen wurden, haben ihren Mutterinstinkt nie verloren. Er war einfach da, ganz selbstverständlich. Sie haben sich so fürsorglich und liebevoll um ihre Kälber gekümmert, als hätten sie nie etwas anderes getan. Diese Stärke, diese Selbstverständlichkeit hat mich erstaunt – und bewegt.

Heute erlebe ich eine Herde, die ruhig und ausgeglichen ist. Die Tiere wirken zufrieden, fast dankbar. Es herrscht eine friedliche Gemeinschaft zwischen uns Menschen und den Tieren. Und ich spüre es jeden Tag: Meine Kühe wissen, dass ich ihnen diesen Raum gebe. Und sie schätzen es.

Was mich außerdem beeindruckt: Die Kälber sind robuster. Durchfälle, wie man sie oft in den ersten drei Wochen sieht, wenn die Kälber zu viel trinken, regulieren sich von selbst. Die Kleinen holen sich bei ihren Müttern genau das, was sie brauchen. Medikamente werden kaum noch eingesetzt. Vielleicht mal bei einer Nabelentzündung. Aber das war’s auch schon.

Natürlich kostet mich diese Form der Haltung mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Besonders die Entwöhnung erfordert Feingefühl und Geduld. Aber das ist es mir wert. Ich investiere diese Zeit gern. Weil ich spüre, dass es richtig ist.

Ich habe das Gefühl, dass wir auf unserem Hof zu etwas ursprünglichem zurückgefunden haben. Ein Miteinander, das auf Respekt, Vertrauen und natürlichen Abläufen basiert. Und genau das macht diesen Weg für mich so besonders.

Wie sieht die Stallhaltung im Winter aus? Welche Massnahmen triffst du, um das Wohl der Tiere auch in der kalten Jahreszeit zu gewährleisten?

Unsere Kühe haben im Winter jederzeit Zugang zum Laufhof, können sich frei bewegen. Im Stall hat jede Kuh eine Liegebox, weich eingestreut mit Stroh. Die Kälber haben ihren zusätzlichen Kälberschlupf, einen geschützten Bereich, in den sie sich jederzeit zurückziehen können. Hier trennen wir später auch die Kälber von den Müttern – immer zu zweit, damit keines alleine sein muss.

Diese Form der Mutter-Kalb-Haltung, wie wir sie umsetzen, ist nicht die Regel, für mich ist das schade. Es gibt viele Varianten der MuKa Haltung, zu viele aus meiner Sicht – von wenigen Stunden Kontakt am Tag bis hin zur frühzeitigen Trennung. All diese Haltungsformen stehen meist im Schatten der wirtschaftlichen Realität – je mehr Kontakt zwischen Kuh und Kalb, desto weniger Milch bleibt für den Betrieb. Doch für mich gibt es nur eine ehrliche Lösung: ganz oder gar nicht. Entweder das Kalb bleibt rund um die Uhr bei seiner Mutter, spürt ihre Wärme, trinkt nach Bedarf und wächst in ihrer Nähe auf. Halbherzige Kompromisse helfen weder den Tieren noch dem eigenen Gewissen.

schade. Denn ich sehe, wie gut es den Tieren tut, wenn sie in ihrer Mutterrolle bleiben dürfen. Ich sehe, wie stabiler, zufriedener und gesünder unsere Herde geworden ist.


Warum wird Milch aus muttergebundener Kälberaufzucht (MUKA-Milch) nicht stärker gefördert oder im Handel angeboten?

Natürlich hat dieser Weg seinen Preis. Ich habe eine Milcheinbusse von rund 40 Prozent. Das ist kein kleiner Betrag, den ich da aufgeben muss. Und ja, ich bekomme keine Subventionen dafür. Die bessere Tierhaltung zählt nicht als förderungswürdig – zumindest nicht in den Augen des Systems.

Aber ich gebe nicht auf. Ich probiere, neue Wege zu finden. Ich verkaufe Kalbfleisch direkt an unsere Kundinnen und Kunden, lasse Käse produzieren und pflege diesen dann im hofeigenen Käsekeller. Wir arbeiten auch mit F1-Kreuzungen, um wirtschaftlich tragfähige Mutterkühe zu züchten. Ich taste mich langsam voran – in Richtung schwarze Zahlen. Ganz ohne Sicherheitsnetz. Aber mit viel Herzblut.

Ein Thema liegt mir besonders am Herzen: Der letzte Weg unserer Mastkälber. Ja, wir essen Fleisch. Und ja, auch wir leben davon. Aber ich übernehme Verantwortung. Ich bringe meine Tiere, von denen das Fleisch ab Hof vermarktet wird, selbst zum Metzger. Begleite die Tiere bis zum Schluss. Ich habe mit dem Metzger der nur 20 Minuten von unserem Hof entfernt ist ein Abkommen damit die Tiere nicht unnötigem Stress ausgesetzt werden und lange auf den Tod warten müssen. Ich decke ihnen die Augen zu, damit sie nichts vom Schlachtbetrieb sehen müssen. Ich bin da. Auch wenn es weh tut. Auch wenn ich mir manchmal denke: Eigentlich solltest du Vegetarier sein. Aber ich esse Fleisch – und trage die Konsequenzen.

Was mich wütend macht, ist die Scheinheiligkeit vieler Labels. Es gibt Bio-Milch, Heumilch, Alpenmilch – alles mit tollen Versprechen. Aber wer spricht über die Kälber? Wer thematisiert wirklich, was mit ihnen passiert? MUKA-Milch, also Milch aus muttergebundener Kälberaufzucht, sucht man im Ladenregal vergeblich. Dabei ist es die einzige Milch, bei der Kuh und Kalb wirklich eine faire Chance auf ihre natürliche Beziehung haben.

Ich finde: Es ist Zeit, darüber zu sprechen!


Welche politischen oder gesellschaftlichen Veränderungen wären nötig, um diese Form der Haltung attraktiver und wirtschaftlich tragfähiger zu machen?

Wenn ich auf meinen Stall blicke, sehe ich, was möglich ist. Ich sehe Kühe, die ihre Kälber aufziehen dürfen. Ich sehe Kälber, die sich frei bewegen, spielen, wachsen dürfen – so, wie es die Natur vorgesehen hat.

Aber ich weiss auch, dass es viel gebraucht hat, um das möglich zu machen. Bauliche Veränderungen waren nötig. Wir hatten Glück, unsere Voraussetzungen waren gut. Der teuerste Umbau war der Boden – der alte Spaltenboden musste weichen, weil die Abstände zu groß waren. Zu gefährlich für die kleinen Kälberbeine. Vieles konnten wir in Eigenleistung schaffen. Aber ich weiss: Für viele Betriebe ist eine solche Umstellung kaum umsetzbar – sei es aus finanziellen Gründen oder weil die bestehenden Stallstrukturen einfach nicht dafür ausgelegt sind.

Und dann die Milcheinbusse. Ja, 40 Prozent weniger Milch, weil die Kälber trinken, was ihnen zusteht. Das rechnet sich auf den ersten Blick nicht. Und auf den zweiten leider oft auch nicht.

Solange die Politik nicht umdenkt, bleibt diese Art der Haltung eine Nische. Solange die Subventionen nicht an das Tierwohl gekoppelt werden – an die tatsächlichen Lebensbedingungen der Tiere – wird sich wenig ändern. Solange nicht gesehen wird, dass das Wohl der Tiere mit enormem persönlichem, zeitlichem und finanziellem Einsatz verbunden ist, fehlt der Anreiz, diesen Weg zu gehen.

Und solange der Konsument nicht bereit ist, für ehrlich produzierte, tierwohlgerechte Lebensmittel mehr zu bezahlen, wird diese Haltung weiterhin eine sein, die nur wenige wählen. Nicht, weil sie nicht überzeugt wären. Sondern, weil sie es sich schlicht nicht leisten können.

Ich habe mich trotzdem dafür entschieden. Aus Überzeugung. Aus Achtung vor den Tieren. Aber manchmal frage ich mich schon: Warum müssen wir, die einen anderen Weg gehen, ständig kämpfen? Warum gelten in neuen Ställen immer noch Anbindehaltungen als adäquat? Warum ändert sich da so wenig?

Es wäre schön, wenn es anders wäre. Wenn Respekt vor dem Tier und wirtschaftliches Überleben kein Widerspruch mehr wären.

Aber noch ist es ein weiter Weg.


Gibt es besondere Erlebnisse oder Geschichten aus deinem Alltag, die zeigen, warum dir diese Art der Haltung am Herzen liegt? 

Manchmal fragen mich Menschen, warum ich mir das alles antue. Warum ich jeden Morgen um fünf Uhr aufstehe, oft bis in den Abend hineinarbeite, warum ich mich für eine Haltungsform entschieden habe, die so viel mehr Aufwand bedeutet. Die Antwort ist ganz einfach: Weil es für mich der richtige Weg ist.

Ich bin hier, auf unserem Hof, glücklich. Ja, es ist viel Arbeit. Wir sind ein Familienbetrieb, jeder von uns packt mit an, jede Hand zählt. Aber wir tun es aus Überzeugung. Ich möchte meinem Sohn zeigen, dass es auch anders geht. Dass es möglich ist, einen Hof zu führen, bei dem die Tiere nicht nur Nutztiere sind, sondern Teil einer Gemeinschaft, die auf Respekt und Achtung basiert.

Es geht mir nicht nur um unsere Kühe und Kälber. Es geht mir auch um ein Bewusstsein. Ein Bewusstsein dafür, was wir essen. Wo es herkommt. Und was es bedeutet, wenn wir billige Produkte kaufen, ohne uns Gedanken darüber zu machen, wie sie produziert wurden. Wenn wir wieder lernen würden, regional und saisonal zu essen, bewusster einzukaufen – dann könnten wir viel verändern. Für die Tiere, für die Umwelt, für uns selbst. In der Schweiz müssen Lebensmittel für den Großhandel – von Gemüse bis hin zu Fleisch – strenge Normen erfüllen. Zu groß, zu klein, zu krumm, die falsche Farbe? Aussortiert. Nicht etwa, weil die Qualität leidet, sondern weil der Handel makellose Perfektion verlangt. Und wenn das heimische Produkt nicht ins Raster passt? Dann wird lieber günstige, genormte Ware aus dem Ausland importiert.

Auch bei unseren Kälbern zeigt sich diese absurde Logik. Verkaufen wir sie in den Großhandel (denn auch ich kann nicht jedes einzelne Tier direkt vermarkten), werden sie nicht nur nach Gewicht und Größe beurteilt – sondern sogar nach der Farbe ihres Fleisches. Ein Kalb, dessen Fleisch einen rötlicheren Ton hat, bekommt Abzüge. Dabei bedeutet das nur, dass es mehr Eisen aufgenommen hat – also gesünder war. Doch gesunde, natürlich aufgezogene Tiere passen offenbar nicht ins System.

Ich wünsche mir, dass mehr Menschen verstehen, dass gutes, ehrliches Essen seinen Preis hat. Einen Preis, der nicht auf Kosten der Tiere, der Menschen oder der Natur geht.

Und deshalb stehe ich jeden Morgen auf. Deshalb nehme ich all die zusätzlichen Stunden, all die Herausforderungen in Kauf. Es
lohnt sich. Für mich. Für unsere Tiere. Und für die Zukunft, die ich meinem Sohn zeigen will.

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